Im Sommer 1989 klettern 4000 DDR-Flüchtlinge in den Garten der westdeutschen Botschaft in Prag. Ihr sehnlicher Wunsch, in den Westen ausreisen zu können, erfüllt sich am 30. September. DRK-Einsatzleiterin Waltraud Schröder stellt fest: „Das Vertrauen der Flüchtlinge in das DRK hat mich am meisten beeindruckt.“
1989 fliehen Tausende Ostdeutsche in den Westen, erst über Schlupflöcher im „Eisernen Vorhang“, später über die offiziellen Grenzübergänge zwischen Ungarn und Österreich. Das westdeutsche Rote Kreuz betreut die Flüchtlinge, versorgt sie mit Essen und Unterkünften und stellt die sanitäre und medizinische Betreuung sicher. Viele versuchen auch, über die westdeutsche Botschaft in Prag in die Bundesrepublik zu gelangen. Sie klettern über den vier Meter hohen Zaun der Botschaft und harren Tage, manchmal sogar Wochen aus, ohne die Hoffnung auf eine Ausreise aufzugeben.
Am 30. September befinden sich bereits 4000 Flüchtlinge auf dem Gelände, das der Regen in eine Schlammwüste verwandelt hat. Plötzlich trifft Außenminister Genscher ein und verkündet vom Balkon aus den wohl berühmtesten Halbsatz der Wendezeit: „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute ihre Ausreise...“ Der Rest der Rede wird vom allgemeinen Jubelgeschrei übertönt.
„Die Menschen waren euphorisch, erleichtert und voller Freude über ihre neue Freiheit, es war einmalig“, erinnert sich der langjährige Rotkreuz-Präsident Rudolf Seiters, der damals als Kanzleramtsminister die Verhandlungen mit der DDR geführt hat und mit Genscher nach Prag gereist war.
Der erste von drei Sonderzügen verlässt Prag noch in derselben Nacht. Das SED-Regime besteht darauf, dass sie einen weiten Umweg quer durch die DDR nehmen, bevor sie die innerdeutsche Grenze passieren. Im oberfränkischen Hof erwarten dann dreihundert Rotkreuz-Helfer die Züge. Notunterkünfte werden eingerichtet; mit der Menge an ausgegebener Suppe könnte man ein ganzes Schwimmbecken füllen. Der Suchdienst übernimmt die Registrierung der Neuankömmlinge und hilft bei der Familienzusammenführung.
So dramatisch diese Ereignisse auch sind – sie vermitteln lediglich einen kleinen Vorgeschmack auf die historischen Umwälzungen, die beide deutsche Staaten wenige Wochen später erleben werden.